Ein rassistischer Professor muss eine migrantische Studentin für einen Debattier-Wettbewerb fit machen: Sönke Wortmanns neuer Kinofilm „Contra“ ist die Beruhigungspille für alle, die sich vor politischer Korrektheit fürchten.
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Im Jahr 1935 traten Teams zweier amerikanischer Hochschulen zu einem Rhetorikwettbewerb an. Das eine kam von der prestigereichen University of Southern California, das andere von dem bescheidenen Wiley College in Texas. Das eine war der regierende US-Meister im Debattieren und bestand nur aus Weißen, das andere der Underdog, der nur von Schwarzen gebildet wurde. Das Wiley College gewann.
Jahrzehnte später machte Hollywood einen Film daraus, „The Great Debaters“ (2007), produziert von Oprah Winfrey, mit Denzel Washington als Regisseur und Hauptdarsteller. Es war ein Emanzipationsfilm, es ging um die Eroberung einer weißen Domäne durch Schwarze. Und es war eine Formel, die sich auf Diskriminierung jeder Art in jedem Land der Erde anwenden lässt: Die Minderheit ergreift – im wahren Sinn des Begriffs – das Wort und erobert den Diskursraum. Nichts anderes geschieht in diesen Tagen mit MeToo, George Floyd und Gendern.
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„Das, habe ich gesagt, ist mir zu drauf, wenn ich jetzt schon wieder Aische heiße“
In Sönke Wortmanns „Contra“ ist Professor Richard Pohl – alias Christoph Maria Herbst – der Beherrscher des Wortraums. Er bringt seinen Studenten die Grundzüge der Juristerei bei, und als eine neue Hörerin zu spät in der Vorlesung erscheint, lässt er sie mit brillanter Rhetorik alt aussehen – und seinen Vorurteilen freien Lauf. Aus der Suada sprechen Standesdünkel, Misogynie und Rassismus.
Ein Video davon landet bald im Netz, und eigentlich ist Pohl für die Universität nun unhaltbar – aber der Dekan, sein alter Mentor, versucht, ihm eine letzte Brücke zu bauen: Wenn er die Studentin per Privatunterricht zum Sieg in einem Debattenwettbewerb coacht, könnte ihm der Rauswurf erspart bleiben.
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Eine „Pygmalion“-Geschichte
Was nun folgt, hätte man früher als „Pygmalion“-Geschichte beschrieben: Pantoffelbewehrter Philologie-Professor bringt Blumenmädchen aus dem Volk die Sprache der feinen Leute bei. In „My Fair Lady“ war das weitgehend ein Dressurakt, aber das geht natürlich nicht mehr. Lernprozesse müssen heutzutage wechselseitig sein.
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Ressort:KulturIn Sekunden
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Es ging schon vor ein paar Jahren nicht mehr, als in Frankreich „Die brillante Mademoiselle Neïla“ ins Kino kam, der Film, den Wortmann nun auf Deutsch noch einmal gedreht hat, in manchen Szenen eine exakte Kopie. Neïla, das war die Sängerin Camélia Jordana, die dafür sofort einen César gewann; das Gleiche könnte der Ex-YouTuberin Nilam Farooq mit ihrer Naima aus „Contra“ bei den nächsten Lolas passieren. Jordana wurde von einem der größten französischen Stars gepiesackt, von Daniel Auteuil. Sein Professor war von der ersten Minute an verabscheuungswürdig, ein Fossil elitären Denkens und überlegener französischer Kultur. Unreformierbar.
Christoph Maria Herbsts Professor Pohl ist da von etwas leichterem Kaliber. Gewiss, er ist eklig und verletzend, ein von den Zeitläuften zurückgelassener Dinosaurier. Aber noch ist bei ihm nicht Hopfen und Malz verloren. Da schimmert noch etwas von seinem fiesen „Stromberg“-Charme. Sönke Wortmann gibt sich beträchtliche Mühe, Pohl für die Zuschauer in den neuen Mainstream zu reintegrieren. Dessen Zynismus schmilzt im gleichen Maß, in dem er mit Naima eine intelligente, ehrgeizige Schülerin kennenlernt, die das Ethos des Wissenweitergebens in dem Lehrer anstachelt.
Außerdem wird Pohl noch eine bei einem Unfall umgekommene Tochter angehängt. Es ist diese von Hollywood-Drehbuchgurus eingeschleppte Seuche, dass immer jemand durch ein Ereignis in seiner Vergangenheit traumatisiert sein muss und dadurch so wurde, wie er ist. Wenigstens leidet in „Contra“ niemand an jener tödlichen Krankheit, die Drehbuchautoren gern in Filme schmuggeln, um alles zu entschuldigen.
Zur Not ein Tänzchen
„Contra“ ist ein deutscher Film. Ein Sönke-Wortmann-Film. Was bedeutet, dass die Ecken und Kanten, die man in „Mademoiselle Neïla“ noch spüren konnte, weitgehend abgeschliffen wurden. „Contra“ beruhigt sein bundesdeutsches Bildungsbürgertumspublikum, das von immer neuen Wellen politischer Korrektheit aufgeschreckt worden ist. Er sagt, dass Biodeutsche und Migrationsdeutsche eine gemeinsame Ebene der kulturellen Verständigung finden können.
Gegen Ende, als Naima vor dem großen Finale von Nervosität befallen wird, verrät ihr Pohl sein Geheimrezept: Du musst ein bisschen tanzen. Und so beginnen sie, sich zu bewegen, und aus unterschiedlichen Bewegungen werden gemeinsame. Wenn das unsere gespaltene Gesellschaft nicht vereint.
Die besten Sequenzen in „Contra“ sind die rhetorischen Duelle. Richard Pohl ist ein Spezialist für Schopenhauers „Eristische Dialektik“, jene rhetorischen Kniffe, die einem helfen, Streitgespräche zu gewinnen, obwohl die eigenen Argumente gar nicht so gut sind. Die Duelle haben Schwung, haben Rhythmus, haben Witz. Was sie nicht haben, ist Schärfe. Das zeigt sich am deutlichsten, als Naima die Aufgabe erhält, den Standpunkt zu vertreten, der Islam sei keine gewalttätige Religion. Sie tut das, ihre Argumente sind respektabel. Nur: Den entgegengesetzten Standpunkt lässt Wortmann nicht zu Wort kommen.